Österreichs Kanzler Nehammer reist zu Treffen mit Putin nach Moskau
Nach Solidaritätsbesuchen westlicher Politiker in Kiew reist erstmals seit Beginn des Ukraine-Krieges ein europäischer Regierungschef nach Moskau: Der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer kündigte für Montag ein Treffen mit Kreml-Chef Wladimir Putin in der russischen Hauptstadt an. Die Ukraine bereitete sich unterdessen auf heftige Kämpfe mit Russland im Osten des Landes vor. Nach dem Rückzug der russischen Truppen aus der Region um Kiew wurden dort nach ukrainischen Angaben bislang mehr als 1200 Todesopfer gefunden.
Nehammer erklärte, er wolle alles dafür tun, "damit Schritte Richtung Frieden unternommen werden", auch wenn die Chancen gering seien, etwas zu erreichen. Er kündigte an, Putin auch auf die "Kriegsverbrechen" im Kiewer Vorort Butscha anzusprechen. Die Initiative zu dem Treffen mit dem Kreml-Chef sei von ihm ausgegangen, sagte der österreichische Kanzler.
Die Reise nach Moskau sei "eine Risikomission", räumte Nehammer ein. Es sei nun aber "persönliche Diplomatie" gefragt. Dabei gehe es um Dialogmöglichkeiten zwischen Selenskyj und Putin, einen Waffenstillstand oder Fluchtkorridore. Die deutsche Bundesregierung sowie die EU-Spitzen und den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj habe er im Vorfeld über sein Vorhaben informiert.
Erst am Samstag hatte der österreichische Kanzler in Kiew Selenskyj getroffen. Am Freitag waren bereits EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell in die ukrainische Hauptstadt gereist.
Ebenfalls am Samstag traf der britische Premierminister Boris Johnson in Kiew mit Selenskyj zusammen. Er sagte der Ukraine weitere Unterstützung zu und kündigte die Lieferung von 120 gepanzerten Fahrzeugen und neuen Anti-Schiffs-Raketensystemen in die Ukraine an. Selenskyj lobte die britische Unterstützung und rief andere westliche Länder auf, "dem Beispiel des Vereinigten Königreichs zu folgen".
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sicherte der Ukraine am Sonntag in einem Telefonat mit Selenskyj "die Solidarität und volle Unterstützung Deutschlands" zu. Auf deutsche "Marder"-Schützenpanzer werden die ukrainischen Streitkräfte vorerst aber offenbar verzichten müssen.
Die russische Armee hatte sich in den vergangenen Tagen im Norden der Ukraine insbesondere aus der Region um die Hauptstadt Kiew zurückgezogen. Nach eigenen Angaben will sich Moskau nun auf den östlichen Donbass konzentrieren, der bereits seit 2014 teilweise von pro-russischen Rebellen kontrolliert wird. In der westlich des Donbass gelegenen Stadt Dnipro wurde am Sonntag nach Angaben von Gouverneur Valentin Resnitschenko der Flughafen bei einem russischen Angriff "vollständig zerstört".
Die ukrainische Armee sei gewappnet für die "großen Schlachten" gegen die russischen Truppen, sagte der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak. Selenskyj sprach von möglicherweise "entscheidenden" Kämpfen in der Ostukraine. "Wir sind bereit zu kämpfen und parallel dazu nach diplomatischen Wegen zu suchen, um diesen Krieg zu beenden", sagte er.
In Erwartung einer massiven Offensive in der Ostukraine hatten die ukrainischen Behörden ihre Evakuierungsbemühungen zuletzt verstärkt. Dabei wurde am Freitag der Bahnhof der Stadt Kramatorsk von einem Raketenangriff getroffen. 52 Zivilisten wurden getötet, darunter fünf Kinder. Russland wies jegliche Verantwortung zurück.
Die russische Armee hatte sich vor rund einer Woche aus der Region um Kiew zurückgezogen. Seitdem seien dort insgesamt 1222 Leichen geborgen worden, sagte die ukrainische Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa am Sonntag dem britischen Sender Sky News. Erste Berichte am vergangenen Wochenende über möglicherweise hunderte getötete Zivilisten in Butscha hatten international für Entsetzen gesorgt. Im Laufe der Woche häuften sich ähnliche Schilderungen aus weiteren Orten wie Irpin oder Borodjanka.
Nach Angaben der ukrainischen Generalstaatsanwältin Wenediktowa wurden seit Beginn der russischen Invasion Ermittlungen zu 5600 mutmaßlichen Kriegsverbrechen eingeleitet. Sie richteten sich gegen 500 Verdächtige aus den Reihen des russischen Militärs und der Regierung in Moskau, unter ihnen Kreml-Chef Wladimir Putin, sagte sie Sky News.
Wegen des russischen Angriffskriegs sind nach UN-Angaben bislang mehr als 4,5 Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen, 7,1 Millionen weitere Menschen sind innerhalb des Landes auf der Flucht. Bei der weltweiten Spendenaktion "Stand Up For Ukraine" kamen am Samstag insgesamt 10,1 Milliarden Euro zusammen.
A.Olsson--RTC