Islamistische Kämpfer in Syrien stehen nach eigenen Angaben kurz vor Damaskus
In Syrien stehen die regierungsfeindlichen islamistischen Kämpfer nach ihrem rasanten Vormarsch eigenen Angaben zufolge kurz vor der Hauptstadt Damaskus, dem Machtzentrum der Regierung von Baschar al-Assad. Ein Militärchef der Islamisten teilte am Samstag der Nachrichtenagentur AFP mit, seine Kämpfer seien "weniger als 20 Kilometer" vom südlichen Zugang der Hauptstadt entfernt" und hätten begonnen, die Hauptstadt "einzukreisen". Der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge zogen die Regierungstruppen aus der Umgebung von Damaskus ab. In Katar trafen sich unterdessen die Außenminister der in den syrischen Bürgerkrieg verwickelten Länder Iran, Russland und Türkei zu Gesprächen.
Islamisten-Militärschef Hassan Abdel Ghani sagte in Richtung seiner Kämpfer, die Kräfte hätten "mit der letzten Phase der Einkreisung der Hauptstadt Damaskus begonnen". "Damaskus wartet auf Euch", sagte der unter dem Kampfnamen Abu Mohammed al-Dscholani bekannte Anführer der Miliz Hajat Tahrir al-Scham (HTS) in einer Botschaft im Onlinedienst Telegram.
Wie die Syrische Beobachtungsstelle erklärte, zogen die Regierungstruppen aus rund zehn Kilometer von Damaskus entfernten Orten ab. Die Ortschaften seien von "lokalen Kämpfern" eingenommen worden, hieß es weiter. Das syrische Verteidigungsministerium dementierte den Rückzug, entsprechende Berichte entbehrten jeglicher Grundlage.
Die Beobachtungsstelle hatte bereits zuvor erklärt, örtliche Rebellen hätten inzwischen die gesamte Provinz Daraa unter ihrer Kontrolle, deren nördliche Grenze stellenweise nur etwa 20 Kilometer von Damaskus entfernt ist.
Die in Großbritannien ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte bezieht ihre Informationen aus einem Netzwerk verschiedener Quellen in Syrien. Viele Angaben der Organisation lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
Nach Jahren des weitgehenden Stillstands im syrischen Bürgerkrieg hatten die islamistischen Kämpfer der HTS und verbündete Verbände in der vergangenen Woche überraschend eine Großoffensive gegen die Armee des syrischen Machthabers Baschar al-Assad gestartet. Innerhalb kurzer Zeit brachten sie weite Teile des Landes unter ihre Kontrolle, darunter die Großstädte Aleppo und Hama im Nordwesten. Seit Beginn des Bürgerkriegs im Jahr 2011 waren keiner Kriegspartei so rasche Geländegewinne gelungen wie nun den Islamisten.
Nahe der drittgrößten syrischen Stadt Homs, in deren Nähe die HTS und ihre Verbündeten am Freitag vorgerückt waren, wurden der Beobachtungsstelle zufolge mindestens sieben Menschen durch Beschuss von russischen und syrischen Kampfflugzeugen sowie durch Artilleriefeuer getötet.
Die mit der Assad-Regierung verbündete pro-iranische Hisbollah-Miliz entsandte angesichts der Lage nach eigenen Angaben 2000 Kämpfer in die Gegend der südsyrischen Stadt Kusair, einer ihrer Hochburgen. Wie die Nachrichtenagentur AFP aus Hisbollah-nahen Kreisen erfuhr, sollten diese die Stadt im Falle eines Angriffs der Assad-Gegner "verteidigen". Die Hisbollah sei während der jüngsten Großoffensive der Regierungsfeinde jedoch bislang nicht an Kämpfen beteiligt gewesen.
In der syrischen Provinz Kuneitra, die an die von Israel annektierten Golanhöhen angrenzt, zog sich die syrische Armee laut der Beobachtungsstelle für Menschenrechte von ihren Stellungen zurück. "Zum ersten Mal" sei die Provinz "frei von der syrischen Armee".
Machthaber Assad, dessen Sturz das erklärte Ziel der Regierungsfeinde ist, erscheint geschwächt wie nie zuvor. Seit einem Treffen mit dem iranischen Außenminister Abbas Araghtschi am vergangenen Sonntag ist er nicht mehr in der Öffentlichkeit aufgetreten.
Aus Sicherheitskreisen im benachbarten Irak verlautete am Sonntag, die dortigen Behörden hätten "hunderten" syrischen Soldaten, die desertiert seien, die Einreise erlaubt. Mehrere der über den Grenzübergang Al-Kaim eingereisten Deserteure seien verletzt.
Irans Außenminister Araghtschi nahm unterdessen wie angekündigt in Katar an einem Treffen zur Lage in Syrien mit seinen Amtskollegen aus Russland und der Türkei teil. Der Iran und Russland sind wichtige Verbündete Assads. Die Türkei teilt eine lange Landgrenze mit Syrien und hat fast drei Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen. Ankara unterstützt seit Jahren Aufständische im Norden Syriens, hatte sich zuletzt jedoch um eine Annäherung an Damaskus bemüht.
Araghtschi sprach von einem "sehr offenen Gespräch" mit seinem türkischen Kollegen Hakan Fidan. Der russische Chefdiplomat Sergej Lawrow sagte, es wäre "inakzeptabel", wenn eine "terroristische Gruppe" Syrien kontrollieren sollte.
Angesichts der Lage in Syrien rief nach den USA und Russland nun auch die Regierung des Nachbarstaats Jordanien seine Staatsbürger auf, das Land "schnellstmöglich" zu verlassen. Zuvor hatte Jordanien bereits den einzigen aktiven Grenzübergang zu Syrien geschlossen. Einem Bericht der "New York Times" zufolge begann sogar der mit Assad verbündete Iran, sein diplomatisches Personal aus dem Land auszufliegen.
S.Martin--RTC